Zur Geschichte der europäischen Kanäle

Die frühe Menschheitsgeschichte ist eng verbunden mit der Nähe zum Wasser. Die ersten Hochkulturen sind alle in Flußtälern entstanden. Der Fluß brachte nicht nur Trinkwasser für Mensch und Tier, sondern er war auch Abwasserkanal und, jahrtausendelang der einzige Transportweg für Menschen und Güter, vor allem über größere Entfernungen. Früh schon wurden die natürlichen Gegebenheiten vom Menschen verändert, durch künstliche Hafenanlagen, Flußregulierung und durch Kanäle. Die Geschichte der Menschheit ist somit auch eine Geschichte des Kanalbaus.

Die alten Hochkulturen im Mittelmeerraum, Ägypter, Babylonier, Sumerer, Phönizier, aber auch die Chinesen haben schon früh umfangreiche Kanalnetze gebaut, primär für die Bewässerung, bald aber auch für den Transport von Menschen und Material. Ein frühes Beispiel ist ein Kanal in Ober-Ägypten aus dem Jahre 4000 v. Chr.. Um 2200 v.Chr. verband der Schatt-el-hai Kanal Euphrat und Tigris. Auch in China werden seit etwa 3000 Jahren Kanäle gebaut, viele Merkmale des Kanalbaus wurden zuerst dort realisiert z.B. beim 600 bis 610 gebauten Großen Kanal.

Aber auch in Europa hat die Flussschifffahrt eine lange Tradition. Bereits die Römer haben neben ihrem beeindruckenden Straßennetz ein nicht minder wichtiges Netz von schiffbaren Flüssen und Kanälen in Italien, Frankreich, England und Holland angelegt. Mit dem Niedergang des Römischen Reichs ging aber vieles vom Wissen und der Erfahrung verloren, so daß die nachfolgenden Jahrhunderte nur wenige diesbezügliche Aktivitäten aufwiesen.

Das spektakulärste Projekt in dieser Zeit war sicherlich der Fossa Carolina (Karlsgraben), ein allerdings gescheiterter Versuch Karls des Großen, 793 einen Verbindungskanal zwischen Main und Donau graben zu lassen. Das Vorhaben war seiner Zeit zu weit voraus, erst der Ludwig Kanal (1845) und der 1992 eröffnete Main Donau Kanal haben den Traum einer Verbindung zwischen Nordsee und Schwarzem Meer Wirklichkeit werden lasse. (Eine gute Zusammenfassung der Geschichte der Binnenschifffahrt und des Kanalbaus in Deutschland finden Sie hier.)

Insgesamt dauerte es bis ins 12. Jahrhundert, bis der Ausbau der Flüsse und der Bau von Kanälen wieder in größerem Maßstab in Angriff genommen wurde, zuerst vor allem in geografisch begünstigten Gebieten wie den Niederlanden und der Oberitalienischen Tiefebene, bald aber überall in Europa. 1373 wurde die erste Kammerschleuse in Holland gebaut. Die Erfindung des Stemmtors führt 1485 zum Bau der ersten modernen Schleusen für den Bereguardo Kanal in Nord-Italien. Der 1398 eröffnete Stecknitz Kanal zwischen Lübeck und der Elbe war der erste, einen Höhenzug überwindende Kanal Europas. Ein wichtiger Impuls für den Bau von Wasserstraßen war die Entdeckung Amerikas in 1492 und des Seewegs nach Indien. Damit verlagerte sich der Schwerpunkt des Seehandels nach und nach vom Mittelmeer nach Nordeuropa und auf die iberische Halbinsel. Der Übergang von Stadtstaaten zu größeren politischen Einheiten schuf zudem die Voraussetzung für die Ausführung von so aufwendigen Projekten wie den Bau von Kanälen.

Zugleich wurde die Technik des Wasserbaus kontinuierlich weiterentwickelt. Der von 1666 bis 1681 gebaute Canal du Midi, ein 240 km langer Verbindungskanal in zum Teil schwierigem Gelände zwischen Mittelmeer und Atlantik weist bereits die allermeisten Merkmale moderner Kanäle auf, z.B.  Tunnel und Aquädukte, Schleusentreppen und aufwendige Bauten zur Sicherstellung der Wasserversorgung.

Überhaupt war Frankreich zu dieser Zeit auf Grund seiner geografischen und politischen Situation eines der aktivsten Länder beim Kanalbau. Noch heute verfügt Frankreich über fast 8 000km Wasserstraßen.

In Deutschland wurden größere Kanalprojekte durch die Kleinstaaterei behindert. Zudem stellen Rhein und seine Nebenflüsse zumindest im Westen ein gutes System natürlicher Wasserstraßen dar. Erst mit der Ausdehnung Preußens ab dem Ende des 17. Jahrhunderts wurden ausgehend vom Gebiet um Berlin größere Kanäle gebaut, mit denen Elbe, Oder und Weser verbunden wurden

In England, einer relativ kleinen Insel mit zudem zum Teil sehr schwierigem Terrain, bestand ursprünglich wenig Bedarf für künstliche Wasserstraßen. Man begnügte sich im wesentlichen mit der Schiffbarmachung der Flüsse und versorgte das Hinterland von der Küste aus. Erst als die industrielle Revolution zur Entstehung industrieller Ballungszentren in Mittelengland mit entsprechendem Transportbedarf für Rohstoffe und für Fertigprodukten führte, begann dort das Kanalzeitalter, spät, aber um so heftiger. Die meisten Kanäle wurden in nur wenigen Jahrzehnten, zwischen 1770 und 1830 gebaut. Und zwar von Fabrikanten und anderen Geldgebern, die direkt an der Profitabilität der mit privatem Kapital gebauten Kanälen interessiert waren. Dies hatte, neben dem beeindruckenden Enthusiasmus für dieses "neue" Transportmedium zwei gravierende negative Auswirkungen, zum einen wurden fast alle Kanäle als Einzelvorhaben für einen spezifischen Zweck gebaut, also Erschließung eines Kohlenreviers für eine Industrieregion oder den Transport von Erzeugnissen von der Fabrik zum nächsten Hafen. Es gab keine Koordination oder Entwicklung eines übergreifenden Transportkonzepts. Zum anderen wurden die Kanäle möglichst kostengünstig gebaut,  sprich nur gerade so breit wie für die damaligen Lastkähne mit 2,15m Breite erforderlich. Mittel für die eigentlich bald notwendige, Verbreiterung und Verbesserung der Linienführung flossen, da dem Profit der Betreibergesellschaften abträglich, nur sehr zögerlich. Von wenigen Begradigungen und halbherzigen Verbreiterungen abgesehen, sind die englischen Kanäle noch heute so, wie sie vor nun 200 Jahren gebaut wurden.

War Anfangs die industrielle Revolution ohne das Kanalsystem undenkbar, so führte die weitere Entwicklung dazu, dieses überflüssig zu machen.

Miit dem Aufkommen zuerst der Eisenbahn und später des Automobils waren viele Güter schneller und flexibler zu transportieren, speziell über so kurze Entfernungen wie in England. Viele Kanäle wurden daher stillgelegt und verfielen, nicht nur in England, sondern auch in den anderen Ländern.

Nur solche Wasserstraßen, auf denen große Gütermengen über weite Entfernungen transportiert wurden hatten noch eine Zukunft. Als Teil des staatlichen bzw. europäischen Verkehrskonzepts wurden und werden sie immer wieder modernisiert und vergrößert, zum Teil sogar neu gebaut. In Deutschland zum Beispiel der 1938 eröffnete, 467 km lange, Mittellandkanal, Teil eines insgesamt 11 000 km umfassenden Netzes, wozu auch der schon erwähnte Main-Donau-Kanal gehört. In Frankreich werden verschiedene Wasserstraßen für 1350 Tonnen-Frachtschiffe, dem heutigen europäische Standard, aufgerüstet.

Auf europäischer Ebene plant die TEN (TransEuropean Transport Network) einen umfassenden Aus- und Neubau verschiedener Flüsse und Kanäle für Schubverbände. Diese Projekte sind zum Teil heftig umstritten. So wurden die Pläne, die Schifffahrt auf der Elbe durch Staustufen zu verbessern nach Protesten von Umweltschützern aufgegeben. Auch das deutsch-französische Projekt einer Verbindung zwischen Mittelmeer und Atlantik über Rhein und Rhône, für das umfangreiche Neubauten erforderlich gewesen wären, wurde 1997 eingestellt. Neben den Protesten waren hierfür sicher auch die sehr hohen Kosten und die unbefriedigende Rentabilität entscheidend. 

Auf der einen Seite haben wir also heute die kommerziellen Wasserstraßen, mit einem Trend zu immer größerem Ausbau, auf der anderen die redundanten Teile früherer Kanalsysteme, für die sich durch die immer populärere Verwendung als Freizeitrevier eine neue Bestimmung ergeben hat. Dies hat  nicht nur zum Erhalt und der Wiedereröffnung schon aufgegebener Kanäle geführt, sondern sogar zum Neubau von Strecken auf der Basis uralter Pläne. Mancher dieser Freizeitgewässer werden heute intensiver genutzt als zur Zeit ihrer kommerziellen Blüte. 

Quellen: Für diese Seite wurden u.a. folgende Quellen verwendet:

  • Encyclopedia Brittannica: www.britannica.com
  • Encarta: http://encarta.msn.com/
  • A Brief History of English Canals: http://www.zen.co.uk/home/page/mike.clarke/Englishcanals.htm
  • The International Canal Monuments List: http://www.icomos.org/studies/canals-toc.htm
  • Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes; Historie der Binnenschiffffahrt: http://www.wsv.de/Wasserstrassen/Historisches/Binnenschifffahrt/Binnenschifffahrt.html
  • Kritische Stimmen zum Ausbau: www.rivernet.org
  • Eine Zusammenstellung von Museen mit Bezug zur Binnenschiffahrt finden Sie hier:                       http://www.shipmate.de/herausgeber/redaktion/museen.htm
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